
(c) KiWi
Man könnte sagen: High Fidelity 20 Jahre später – die Party ist vorbei, die freie Marktwirtschaft hat ihren Job erledigt, Plattenläden sind obsolet, so auch der von Vernon Subutex. Seinen Laden musste er schließen, seinen restlichen Besitz hat er nach und nach verkauft und konnte sich so noch eine Zeit lang über Wasser halten, doch irgendwann ist alles Wertvolle versetzt. Und jetzt?
Jetzt sitzt Subutex plötzlich auf der Straße. Zack! Alles halb so schlimm, denkt er. Ist nur vorübergehend, denkt er. ‚5000 friends, they‘re in my phone‘, wie Patrice singt, alles also kein Problem, Vernon schreibt seine Freunde an, ob er bei ihnen auf der Couch schlafen kann, er sei gerade aus Kanada gekommen für einige Erledigungen.
Und da fängt es schon an, keiner der sogenannten Freunde scheint zu wissen, was Vernon in Wirklichkeit tut, wie es ihm geht. Eigentlich sind das alles nur Bekannte aus der lange zurück liegenden Vergangenheit, als man noch gemeinsam um die Häuser gezogen ist, gemeinsam Musik gemacht hat. Doch alle haben sich weiter entwickelt, haben sich voneinander entfernt. Hier stecken wirklich alle Vorurteile der verschiedenen politischen Spektren drin, alle haben sie sich in ihrem
Leben irgendwie eingerichtet. Die ‚gute alte Zeit‘ ist bald abgehandelt und mit dem Jetzt kann keiner so richtig was anfangen, alle sind sie unzufrieden, frustriert (Außer vielleicht der Bankerboy, für den ist alles Party, Drogen und Musik. Aber der weiß es einfach noch nicht und merkt es spätestens, wenn der Rausch vorbei ist).
Das großartige an Despentes Buch ist genau das: der arbeitslose, aussichtslose, irgendwie schluffihafte aber sympathische Vernon dient als Verbindungsglied um uns einmal durch die französische ‚Mitte‘ zu führen, von der ehemaligen Pornodarstellerin zum frustrierten Marxisten, vom identitären Jüngling zum neureichen Flashboy. Da ist sich jeder nur selbst der Nächste und obwohl doch viele erkennen, dass Vernon obdachlos ist und sich nur mit einer Notlüge einen Schlafplatz besorgen kann, kommt doch keiner auf die Idee, ihm ernsthaft Hilfe anzubieten. Irgendwann hat Subutex auf jeder Couch seiner vielen ‚Freunde‘ geschlafen und was kommt dann?
Despentes hat hier das Porträt einer oberflächlichen Online-Party-Frust-Gesellschaft geschaffen und mich damit in Ihren Erzählbann gezogen.
Liebe deinen Nächsten ist längst überholt. Schuld sind immer die Anderen.
Das Buch liegt jetzt in den Buchhandlungen, also nichts wie hin!
Das Leben des Vernon Subutex
ISBN 9783462048827
eISBN 9783462317275
Erschienen im Verlag Kiepenheuer & Witsch, August 2017
Aus dem Französischen übertragen von Claudia Steinitz
Originaltitel: Vernon Subutex